Schatten der Geschichte – in Hiroshima

Hiroshima steht für das unvorstellbare Grauen eines Atomangriffs, der von den Menschen manchmal nichts weiter übrig ließ, als den eingebrannten Schatten an der Hauswand. Eine Geschichte wie ein Alptraum, schwer einzuordnen und nachzuempfinden. Wir begeben uns mit gemischten Gefühlen auf die Reise. 

Wir kommen nach einer entspannten Fahrt mit dem Bus aus Osaka an, und laufen mitsamt unseres Gepäcks durch das Epizentrum des Atomangriffs. Hier zündete das US Militär die erste jemals in einem Krieg eingesetzte Atombombe, die dank ihrer im Vergleich zu anderen Atombomben kleinen Bauart den zynisch anmutenden Spitznamen “Little Boy” trug. Der 6. August 1945 war ein sonniger Montagmorgen und viele Menschen befanden sich auf dem Weg zur Arbeit, als um 8.15 Uhr die Bombe detonierte und Hiroshima innerhalb von Sekunden dem Erdboden gleich machte. 

Die Sonne scheint, die Straßen sind belebt, und nur die Abwesenheit alter Gebäude lässt hier heute, 70 Jahre später, noch das Ausmaß der Zerstörung durch die Atombombe erahnen. Kaum ein Gebäude hat der Druckwelle und Hitze der Detonation standgehalten. Gut sehen kann man dies an dem Modell, dass wir später im Museum sehen. Das Gebäude der ehemaligen Industrie- und Handelskammer bildet die Ausnahme, da sie unmittelbar unter dem Abwurfpunkt stand und eines der wenigen Betonbauten der Stadt war. Das Gebäude ist heute bekannt als Hiroshima Peace Memorial oder Atomic Bomb Dome und Teil des benachbarten Gedenkparks.

Ein Kriterium bei der Wahl des Angriffsziels durch die Amerikaner war tatsächlich die Holzarchitektur der meisten Gebäude. Der erwartete Feuersturm sollte die Stadt bis in ihre Außenbezirke zerstören. Tatsächlich dauerte es keine 50 Sekunden bis vier fünftel der Stadt zerstört waren.

Wir treffen vor dem A-Bomb Dome auf die Tochter einer Zeitzeugin. Sie erzählt uns anhand von gemalten Bildern, Karten und Fotos die Geschichte ihrer Mutter, die den Angriff überlebte. Sie erzählt uns von den Stunden nach der Bombenexplosion, der Flucht ihrer Mutter und von dem schwarzen Regen, dem radioaktiven Niederschlag wie die Anwohner später erfuhren. Obwohl ihre Mutter nur etwa einen Kilometer entfernt von der Abwurfstelle lebte konnte sie sich in Sicherheit bringen bevor der Feuersturm begann, starb dann aber vor wenigen Jahren an den Spätfolgen des Angriffs. Ihre Tochter möchte nun den Besuchern der Stadt die Geschichte ihrer Familie erzählen. Die sehr persönliche Geschichte ist sehr berührend, und für uns der direkte Einstieg in die tragische Geschichte dieses Ortes.

Das heutige japanische Selbstverständnis ist eng verbunden mit der Katastrophe in Hiroshima. Die Flussinsel nahe des Epizentrums des Atomangriffs bildet das Kernstück des Gedenkens. Sie ist geprägt von unterschiedlichen Gedenkorten. An einem Monument brennt bspw. eine Flamme die erst gelöscht werden soll, wenn die letzte Atombombe auf der Welt unschädlich gemacht wurde.

An anderer Stelle stehen Vitrinen, voller Origami-Kraniche. Hintergrund ist die Geschichte von Sadako Sasaki, eines Mädchens, das als Folge des Atomangriffs an Leukämie erkrankt war. Einer alten japanischen Legende zufolge wird dem, der 1000 Origami-Kraniche faltet, von den Göttern ein Wunsch erfüllt. Sadako begann während ihres Krankenhausaufenthalts, unermüdlich Kraniche zu falten. Nach einem Monat hatte sie bereits 1000 Kraniche gefaltet, und obwohl sie weiter faltete, wurde ihr Wunsch, wieder gesund zu werden, nicht erfüllt. Die Kraniche aber werden noch immer gefaltet und im Memorial Park gesammelt und ausgestellt.

Die Opfer des Angriffs sind in einem Mausoleum beigesetzt. Den wenigen verbliebenen Zeitzeugen ist hier ebenfalls ein Platz sicher.

Ein weiterer Gedenkort entzieht sich dem Leben und ist etwa 10m unter die Erde gebaut. Durch eine beeindruckende Architektur wird hier eine Art unterirdischer Kokon erschaffen. Ein durch Linsen verstärktes Oberlicht in Form einer Uhr, deren Zeiger auf 8.15, dem Zeitpunkt der Detonation stehen, beleuchtet den Mittelpunkt des Raumes. Am Rund der Außenwände sind die Namen der Opfer eingraviert. Ein sehr introvertierter Ort mit einer intensiven, emotionalen Wirkung.

Neben uns und anderen Touristen treffen wir auf viele Schülergruppen, für die ein Besuch der Gedenkstätte und des Museums zum Pflichtprogramm gehört. Sie geben dem traurigen Ort viel Lebendigkeit. 

Im  Peace Memorial Museum wird die zerstörerische Kraft der A-Bomb nochmals deutlich. Ein Modell zeigt Hiroshima nach dem Angriff. Mit Ausnahme einiger Gebäude ist die Stadt bis zu den Bergen dem Erdboden gleich gemacht. Direkt über dem Gebäude der Industrie- und Handelskammer schwebt ein roter Ball, der den Ort der Explosion markiert. Die Bombe “Little Boy” wurde in 600m Höhe zur Detonation gebracht, um die Zerstörungskraft zu maximieren. Mit einer Kerntemperatur von über einer Millionen Grad wurden 90.000 Menschen sofort getötet, 12.000 Menschen verdampften einfach. Von ihnen entdeckte man später die eingebrannten Schatten an den Hauswänden. Ein Hauseingang mit einem solchen eingebrannten Schatten ist im Museum ausgestellt. Diese und andere Exponate, darunter geschmolzene Dachziegel und ein verkohltes Dreirad, verdeutlichen die Hitzeeinwirkung der Explosion sehr eindrücklich. 

Wie Szenen aus einem Horrorfilm hängt den ausgestellten Wachsfigurenkindern das Fleisch vom Körper. Viele der Opfer waren nach dem Angriff an den Fluss gelaufen. Was das kontaminierte Wasser wenige Stunden später mit den Körpern der Menschen machte ist anhand einer fotographischen Dokumentaion dargestellt.

Am Ende der Ausstellung erzählen die Zeitzeugen in etlichen Videos ihre Geschichte. Wir unterzeichnen noch eine Petition zur weltweiten atomaren Abrüstung und verlassen das Museum mit einem Kloß im Hals. Wird die Flamme wohl jemals erlöschen dürfen?

Beim Schlendern durch die Stadt stolpern wir quasi über ein Oktoberfest – es ist Mai, aber das sieht mal hier wohl nicht so eng. Ein Proosit, ein Prooosit der Gemüüütlichkeit schallt zu uns herrüber und wir können nicht anders als uns das Spektakel genauer anzuschauen. Mit einem Flens machen wir es uns gemütlich und nach einigen “Oans, zwoa, drei, Gsuffa” machen die Japaner sogar eine Polognese durch das Bierzelt. Irgendwann müssen wir uns wohl auch mal das Original anschauen.

Nachts erstrahlt das moderne Hiroshima im typisch japanischen Farbenmeer der Leuchtreklamen. Hiroshima soll einiges an Nachtleben zu bieten haben. Wir laufen durch ein Viertel, in dem es viele Bars geben soll. Sie scheinen jedoch ähnlich gut getarnt zu sein wie japanischen Restaurants, zumindest wirken sie etnweder sehr exklusiv, etwas dubios oder sind überhaupt nicht auffindbar. Dafür gibt es einen leckeren Straßensnack: Kleine Teigbälle gefüllt mit Gemüse und Tintenfisch, serviert mit Okonomi-Sauce und Majonaise.

Um mal etwas anderes zu sehen entschließen wir uns zur Besichtigung der hiesigen Müllverbrennungsanlage, die ein architektonisches Highlight der Stadt sein soll. Sie liegt etwas außerhalb der Stadt in einem Gewerbe-/ Industriegebiet irgendwo an der Endstation der Buslinie, in der wir sitzen. Angekommen ist jedoch nichts dergleichen in Sicht, noch weiß der Busfahrer Bescheid. Da wir quasi auf dem Betriebshof der Busgesellschaft stehen, laufe ich zum Verwaltungsgebäude. Etwas erstaunt aber mit der typisch japanischen Hilfsbereitschaft werde ich empfangen und als ich es geschafft habe deutlich zu machen, dass wir die Müllverbrennungsanlage suchen, werden wir prompt in ein Auto geladen und hingefahren. 

Vielleicht weil jede Menge Expertise in Sachen Museumsarchitektur in Hiroshima vorhanden ist, hat man auch gleich die hiesige Müllverbrennungsanlage zu einem Anschauungsobjekt gemacht. Ein gläserner Korridor führt quer durch das Gebäude und Schautafeln und ein Modell erläutern die technischen Anlagen.

Auf der Rückseite öffnet sich der Blick Richtung Meer und wird am Horizont von einer Gebirgskette begrenzt. Wir genießen den Ausblick über Meer und Stadt, bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen in Richtung Osaka.

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