Auf den Spuren der Geschichte in Phnom Penh

Wir werden in der kambodschanischen Hauptstadt herzlich von unserem Gastgeber Borey empfangen. Er ist ein Bekannter von Nikos Familie und wohnt mit seiner Familie auf einer Insel im Mekong, am Stadtrand von Phnom Penh, direkt am Fähranleger, in einem großen Haus. Wir werden in einem der vielen Schlafzimmer einquartiert. Wir haben Glück, dass er überhaupt im Lande ist. In ein paar Wochen geht es für ihn nach Afrika, in den Südsudan, wo er bei den Nato-Friedenstruppen ist. Das traurige Wissen der Kambodschaner um Landminen ist im Ausland gefragt. Aktuell kartiert er aber noch Minenfelder in Kambodscha – bwz. die Orte, die von Minen gereinigt werden.

In den Tagen, die wir bei Borey wohnen, bekommen wir spannende Einblicke in den Familienalltag. Um die morgendliche rush hour auf dem Weg zur Arbeit zu umgehen, wohnt Borey wochentags beim Onkel in der Stadt. Als Gegenzug nimmt Boreys Familie  seine Cousine unter der Woche bei sich auf, deren Schulweg dadurch kürzer wird. Wir kommunizieren also die meiste Zeit mit Händen und Füßen, bzw. mit Internetübersetzungsprogrammen. Der Vorplatz des Hauses ist untervermietet und wird, durch die günstige Lage am Schiffsanleger, von jemanden als Motorradparkplatz genutzt. Außerdem mietet eine Zuckerrohrsaftverkäuferin einen Bereich für ihren Verkaufsstand.

Der Erste Raum des Hauses ist das Wohnzimmer und gleichzeitig die Garage für das Auto und vier Motorroller. Man stelle sich also vor: Links steht das Sofa, ein Sessel, Couchtisch und Esstisch nebst Stühlen und direkt danaben parken die Motorräder und ein großer 4×4 Jeep. Der Jeep scheint wichtiges Statussymbol zu sein. Man sieht überproportional viele dieser Gefährte die Stadt fahren und Borey sagt uns mit einem Lächeln, dass das Mittagessen ausfällt wenn er den durchstigen Wagen ausführt.

Wie bei jedem Kambodschaner wurde auch Boreys Familie auf tragische Weise vom Khmer Rouge Regime getroffen. Der gesamte Familienteil väterlicherseits starb in diesen drei Jahren und acht Monaten. Man kann sich nur schwer vor Augen führen, dass in dieser kurzen Zeit ein Drittel der Gesamtbevölkerung Kambodschas umgebracht wurde oder an den Folgen des Regims starb. Zur Familie seiner Mutter sagt er “von acht haben sechs überlebt, also nur zwei verloren, sie haben Glück gehabt.” Wir denken, es sind zwei zu viel.

Nach unserer Ankunft wird erstmal die Insel erkundet. Mit dem Motorrad geht es über staubige Pisten zu einem Strand am Mekong, wo wir in einer Bambushütte auf dem Wasser pausieren. Attraktion der Insel ist außerdem eine Seidenproduktion, wo wir die Produktion von der Seidenraupe bis zum fertigen Stoff zu sehen bekommen. Abends gibt es Köstlichkeiten zu essen, und wir versuchen uns in der nonverbalen Kommunikation mit der Familie Rith.

Am nächsten Tag zeigt uns Boreys Schwester Pheary (gesprochen Piri) ein wenig die Stadt, und wir besuchen den Königspalast und Wat Penh.

Auf den Spuren der Vergangenheit

Phnom Penh spielte unter den Roten Khmer eine besondere Rolle. Nach der Revolution 1975 wurde die Stadt komplett evakuiert und alle Bewohner gezwungen, die Stadt zu verlassen und in verschiedene Dörfer zu ziehen. Die Stadt muss einer Geisterstadt ähnlich gewesen sein. Außerdem gab es hier das berüchtigte Foltergefängnis S-21, und unweit südlich der Stadt eines der “Killing Fields”; beide sind heute Gedenkstätten. Wir widmen einen Tag dem Besuch der beiden Stätten. Sehr empfehlenswert, aber auch sehr traurig.

Zuerst drängen wir uns durch den berüchtigten Verkehr zu den “Killing Fields” südlich der Stadt. Der Ort nennt sich heute eigentlich “Choung Ek Genocide Memorial Center”, aber “Killing Fields” scheint sich eingebürgert zu haben. An diesen Ort wurden unter den Roten Khmer die Gefangenen des S-21 Gefängnisses gebracht, um barbarisch exekutiert und in Massengräbern verscharrt zu werden. Mehr als 15000 Menschen wurden an diesem Ort grausam ermordet und das durch den Mangel an Schusswaffen mit Alltagsgegenständen. Wir laufen an einen kräftigen Baum vorbei, an dem Babys und Kleinkinder totgeschlagen wurden. Nicht zu fassen wozu Menschen in der Lage sind. Brisant ist auch, dass sich nur die Führungsriege des Regims, mit etwa zehn Personen, für diese Verbrechen vor Gericht verantworten musste. Heute passiert man vor den killing fields wartende Tuktuks deren Fahrer in der Hängematte dösen, am Smart Phone daddeln oder sich anderweitig die Zeit verteiben, während ihre Kundschaft sich auf die Spuren der schrecklichen Vergangenheit dieses Ortes macht, sowie Souvenierstände und Restaurants, bevor man das Gelände betritt. Es ist eine grüne Anlage mit vielen Bäumen und Blumen, und im Sonnenschein sieht alles sehr friedlich aus. Jeder Besucher bekommt einen Audioguide, der einen über das Gelände leitet. Die Tour ist sehr gut aufbereitet und angenehm eingesprochen, mit Hintergrundinformationen und Zeitzeugenberichten. Es kann einem schon kalt den Rücken herunterlaufen, wenn Beteiligte darüber erzählen, was an diesem Ort vor nicht einmal 40 Jahren passiert ist. Wirklich schaurig ist es, wenn man auf den Boden schaut. An einigen Stellen schwemmen noch immer Knochen und Kleidungsstücke der Opfer aus dem Boden auf. Vor allem in den Mulden der Massengräber aber auch auf den Wegen kommen Knochenfragmente und Stofffetzen zum Vorschein. Sobald sie vollständig freigespült sind werden sie dann von den Gedenkortwächtern eingesammelt. Vor einigen Jahren wurde ein Gedenkstupa errichtet. In diesem befinden sich auf 17 Ebenen die Schädel sowie größere Knochen, die in den Gräbern gefunden wurden. Auch Mordinstrumente, die vor Ort gefunden wurden sind ausgestellt. Vom Hammer bis zum Bambusrohr wurde vieles zum Mordinstrument umfunktioniert. Es ist ein Ort, den es nicht geben dürfte. Aber eine sehr ergreifende und gut konzeptionierte Gedenkstätte.

Zusammen mit Borey geht es gleich weiter mit dem bedrückenden Geschichte Kambodschas, mit einem Besuch des Tuol Sleng Museums, dem ehemaligen S-21 Gefängnisses. Es befindet sich in einem ehemaligen Schulgebäude, das die Roten Khmer als Gefängnis umgenutzt hatten. Hier wurden die Gefangenen solange gefoltert, bis sie gestanden was auch immer ihnen vorgeworfen wurde. Anschließend wurden sie nach Choung Ek verfrachtet, wenn sie denn das Gefängnis überlebten. Damit die Gefangenen keinen Suizit begangen, wurden die Laubengänge der Gebäude mit Stacheldraht eingepackt. Bei der Befreiung Phnom Penhs wurden nur sieben Überlebende des Gefängnisses gefunden. Bei der Einrichtung des Museums wurde vieles im Zustand des Gefängnisses belassen. So vermitteln die kleinen, hastig in die ehemaligen Klassenräume gemauerten Zellen von höchstens 2qm Größe einen Eindruck der furchtbaren Bedingungen im S-21. In anderen Räumen sind auf großen Tafeln die Bilder der Insassen angebracht, die einen aus der Vergangenheit anschauen. Viele sind sehr junge Jungen und Mädchen, auch sehr alte Menschen sind dabei. Auf Gemälden sind auch die Foltermethoden dargestellt – deren Ergebnisse auf Fotografien in Räumen, die wahrscheinlich die Folterkammern waren. Es sind auch einige Verhörprotokolle ausgestellt, aber leider fehlt die Zeit, diese wirklich zu lesen, da das Museum bald schließt.

Zum Abschied gehen wir noch einmal lecker essen mit Borey, in einem typisch kambodschanischen Restaurant. Hier bekommen wir jeden Menge Zutaten und einen Suppentopf auf den Tisch gestellt und es gibt Suppe satt. Eine schöne gesellige Art zu essen!

Noch eine Anekdote zum Schluss: Auf unserer Fahrt durch die Stadt, auf dem Weg zum Treffen mit Borey, werden wir an einer Ampel von der Polizei rausgewinkt. Wir haben etwas spät gehalten, da die Ampel direkt vor uns rot geworden ist. Erster Gedanke: Haltelinie überfahren – da wird abkassiert! Die Polizisten fragen aber nur wo wir das Motorrad geliehen haben, und wo wir wohnen. Dass wir privat bei einem Freund wohnen wollen sie nicht so richtig verstehen/glauben. Wir wüssten gern was los ist, aus den beiden ist aber nur heraus zu bekommen, dass es wohl irgendein Problem mit dem Motorrad gibt. Was wollen sie uns nicht sagen. Wir sollen Borey anrufen. Uns ist das natürlich unangenehm, und wir wollen ihn ja auch nicht in Schwierigkeiten bringen. Gleichzeitig hoffen wir, dass er als Soldat die Situation schnell klären kann (Militär und Polizei – da könnte es ja gute Verständigung geben?). Schließlich kommt Borey an, redet kurz recht kumpelhaft mit den Polizisten – und wir dürfen fahren. Was war nun das Problem? Angeblich, dass wir tagsüber das Licht anhatten! Das war natürlich fahrlässig. Wir wundern uns, dass die Polizisten so ein Geheimnis gemacht haben anstatt uns einfach ein Bußgeld abzunehmen und sind erleichtert, dass die Situation so schnell gelöst war. Man merke: Tagsüber LICHT AUS! in Kambodscha. Das scheint wichtiger zu sein, als es nachts ein zu schalten – das wird nämlich eher optional gemacht.

 

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