Reise in die Vergangenheit – Auf Tuchfühlung mit nordlaotischen Bergvölkern

Mehrtägige Wanderungen durch den Jungle und in abgelegene Bergdörfer abseits der touristischen Pfade, das ist unser nächstes Ziel für das wir weit in den Norden von Laos, bis in Sichtweite zur chinesischen Grenze, reisen.  

Wir sind in Laos sind mit einem knappen Zeitbudget unterwegs und entschließen uns, nicht von vielen Orten wenig zu sehen, sondern von wenigen Orten viel.  

Von Vientiane nehmen wir einmal mehr einen Schlafbus, der uns laut Fahrkartenverkäufer in 20 Stunden in den äußersten Norden des Landes bringen soll. Er liegt so falsch. Es wird zum zweiten Mal dunkel und wir liegen immer noch auf unseren Pritschen und poltern im Schneckentempo über üble Pisten die Serpentinen hoch.

So gemütlich es in dem nur halb belegten Nachtbus auch ist, nach den vorhergesagten 20 Stunden Fahrt sind wir doch etwas erstaunt, als unser treuer Freund CityMaps2Go uns eine weitere Fahrtzeit von fünf Stunden prognostiziert. Es ist eine Fahrt ohne Zwischenfälle, trotzdem kommen wir erst mitten in der Nacht, mit sieben Stunden Verspätung in Phongsali an. Wir sind ca. 2km vom Stadtzentrum entfernt, und kein Taxi ist in Sicht. KEIN TAXI! Absolute Prämiere in mehr als vier Monaten Reisen in Süd-Ost-Asien. Erstaunt machen wir uns auf den Weg Richtung Innenstadt. Mit all unserem Gepäck beladen ist es ein ziemlicher Marsch. Von überall hört man laute Beats und Karaokegesang. Irgendetwas scheint hier los zu sein. Schließlich finden wir einen netten Mann, der uns mit in die Stadt nimmt, und uns auch gleich aufklärt, was es hier zu feiern gibt: Internationaler Frauentag! Klar, dass das ein Grund für die Männer ist, sich ordentlich einen hinter die Binde zu kippen, und lautstark ein Liedchen zu schmettern. Bei unserer späterer Suche nach etwas Essbarem – es ist mittlerweile nach 10Uhr und die Restaurants schließen quasi vor unserer Nase – sehen wir aber auch eine ganze Menge Frauen ihren Tag feiern. Ich bin beruhigt. Und hungrig.

Als wir schon die Zähne zusammenbeißen und einfach schlafen gehen wollen, entdecken wir einen Stand, an dem es anscheinend doch noch etwas zu futtern gibt. Das Ganze erinnert stark an die Kuchenstände, die Eltern bei den Sportturnieren ihrer Kinder betreiben, nur dass es hier statt Kuchen bunte Wurst aus dem Wok und dazu Papaya-Gurkensalat gibt. Und lecker ist es! Wir bestellen gleich zwei Portionen. Trotz siebenstündiger Verspätung waren die Pausen auf unserer Fahrt rar gesät, und wir haben in den letzten 24 Stunden je eine Nudelsuppe gegessen. Überhaupt hegen wir den Verdacht, dass die Zeitangabe für diese Fahrt von vorn herein nicht ganz korrekt war.

Der nächste Tag wird piano angegangen. Essen, herumlaufen, Essen und Trekking planen. Wir machen die nette Bekanntschaft mit Alvin und Pauline aus Kanada und Schweden, die ebenfalls das Hinterland und die Sitten und Bräuche der Bergvölker erkunden möchten. Wir schließen uns also zusammen und buchen einen Guide, der uns zwei Tage durch den Jungle und über die Berge begleiten soll. In einem leichten Anfall von Selbstüberschatzung entscheiden wir uns für eine anspruchsvolle Tour.

Am nächsten Morgen geht es recht früh los. Wir starten direkt aus Phongsali und sind zehn Minuten später aus der Stadt auf einer Piste die uns immer weiter Richtung Tal führt. Von der Piste biegen wir auf einen kleinen Gebirgspfad ab, der uns durch den Jungle umso steiler nach unten führt. Nach drei Stunden Abstieg erreichen wir einen Gebirgsfluss. Nach kurzer Pause geht es die gleiche Strecke, also drei Stunden, am gegenüberliegenden Berg wieder rauf. Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel und das Wasser ist knapp, unser Guide hatte etwas knapp kalkuliert. Zum Glück kann uns im Dorf, in dem wir Mittagspause machen, dann doch mit Tee ausgeholfen werden, und wir entgehen der drohenden Dehydrierung.

Wenn wir die Überanstrengung abschütteln und den Blick schweifen lassen, belohnen die Landschaft und die weiten Blicke über die Berge und durch die Täler für die Schinderei. Wir laufen viel durch den Dschungel und streckenweise auch über Ho Chi Minh Pfad. Bereits im Indochinakrieg angelegt, wurde er im Vietnamkrieg erweitert und führt auf einer Länge von über 2000 Kilometern durch Vietnam, Kambodscha und Laos, und war der wichtigste Versorgungspfad zwischen Nord- und Südvietnam. Die Kulturlandschaft heute wird von Kaffee- und Teeplantagen geprägt. Durch Brandrodung werden aber immer wieder auch Bergkuppen für die Landwirtschaft zugänglich gemacht und dann für Reisfelder genutzt, auch wenn der Boden hier wenig fruchtbar ist. Wir wandern eine Zeit durch diese karge, verbrannte Landschaft und unser Guide zeigt uns die Grenzen der Nutzungsrechte. Der Boden eignet sich für die Bewirtschaftung mit Reisfeldern eigentlich nicht. Mehr als eine Handvoll Ernten geben die wenigen, im Boden gespeicherten Mineralstoffe nicht her. Zudem werden diese bei in der Regenzeit noch ausgeschwemmt. Danach ist für fünf Jahre Schluss und die nachwachsende Vegetation bildet den Humus für den nächsten, kurzen Nutzungszyklus. Eine loose-loose Situation für Mensch und Natur, aber man nimmt hier was man kriegt und man hat nicht viel.

Gegen Nachmittag wage ich es nach einem steilen Abschnitt unseren Guide zu fragen wie weit es denn noch sei. Die Antwort: Noch drei Stunden bergauf, dann fünf Minuten bergab, und schon sind wir da. Na dann vielen Dank! Mittlerweile haben sich an meinen Fersen schmerzhafte Blasen gebildet. Die Idee, ausgerechnet auf dieser Wanderung die Wanderschuhe mal richtig einzulaufen, war rückblickend ziemlich bescheuert. Nützt nix, Zähne zusammenbeißen und weiter bergauf. Kleine Wasserläufe bieten ab und an die Möglichkeit zur Erfrischung, für längere Verschnaufpausen ist allerdings keine Zeit.

An einem Abschnitt des Ho Chi Minh Pfades wachsen auf den am Berghang angelegten Feldern Mohnpflanzen, die ein Sekret absondern, dass von Arbeiterinnen in winzigen Behältnissen gesammelt wird. An diesem abgelegenen Ort ist die Gewinnung von Opium noch weitgehend problemlos möglich. Man arrangiert sich mit den zuständigen Polizisten. Dann und wann wird ein kleiner Teil eines Opiumfeldes niedergebrannt, um den offiziellen Bemühungen um die Reduzierung des Opiumkonsums- und Anbaus die nötigen Bilder zu liefern.

Reich am Opium wird die hiesige Bevölkerung aber nicht. Über Schleichwege transportieren Kuriere die Erzeugnisse nach China, wo der größte Absatzmarkt ist und wohl andere Instanzen den finanziellen Profit aus der harten Arbeit in Nordlaos ziehen.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir das Bergdorf und küssen den Boden, zumindest fast. In einer überschaubaren Anzahl von Hütten leben hier angeblich etwa 300 Menschen des Bergvolkes. Kontaktfreudig sind hier allerdings nur die Hunde, die uns zähnefletschend empfangen. Vor allem die Frauen und Kinder positionieren sich in gebührendem Abstand um uns ausgiebig zu mustern. Immer wenn ich ein Foto machen möchte, suchen sie schnellstmöglich das Weite. Wir sind hier mehr als fremd, so wie es uns die hier vorherrschenden Strukturen sind. Die nächste Straße ist einen vierstündigen Fußmarsch entfernt, Elektrizität wird von wenigen kleinen Solarzellen geliefert, und jetzt in der Trockenzeit muss das Wasser von einer Quelle außerhalb des Dorfes hergeholt werden, da der Bach in Dorf kein Wasser führt. Viele Ausländer kommen hier nicht her. Die letzte Wandergruppe war sechs Wochen vor uns hier. Es fühlt sich ein bisschen an, als wären wir in der Zeit um einige Jahrhunderte zurückgereist. Überall tummeln sich Schweine, Kühe und Hühner. Die Häuser sind aus Holz gebaut, mit Strohdächern und Lehmboden. Überhaupt ist der ganze Boden im Dorf lehmig, und man mag sich die Schlammwüste, die hier in der Regenzeit entstehen muss, nicht wirklich vorzustellen. Auch Toiletten gibt es keine, es muss der nächste Busch herhalten. Wenn man sich denn hinter einen Busch verzieht folgen die Schweine auf dem Fuß, und wollen sich über etwaige Hinterlassenschaften hermachen. Schon ungewohnt für und westliche Städter. 

Eine Herde mächtiger Büffel streift durch das Dorf, vor einigen Tagen hat es offenbar eine Auseinandersetzung gegeben. Am Körper eines Bullen klaffen große Fleischwunden, die er sich am Vortag bei einem Kampf mit einem Rivalen zugezogen hat. Als er sich sichtlich geschwächt auf den roten, lehmigen Boden fallen lässt, picken Hühner große Fetzen Fleisch aus der Wunde. Reglos liegt der massige Körper mit blutunterlaufenen Augen auf dem Boden und scheint dem Tod näher als dem Leben. Uns wundert die stoische Gelassenheit der Dorfbewohner, welche die Geschehnisse keines Blickes würdigen, ist es doch ein wertvolles Tier für die tägliche Arbeit auf den Feldern. Einige Zeit später rafft sich der Bulle jedoch wieder auf. Er scheint ebenso taff zu sein wie das hier lebende Dorfvolk.

Den Abend verbringen wir im Haus des Dorfchefs, der alle fünf Jahre von der Dorfgemeinschaft gewählt wird. Heute ist der Geburtstag unseres Guides, der zur Feier des Tages zwei Flaschen des hiesigen Schnaps, Lao Lao genannt, mit dem Chief und uns leert. Vorher serviert uns aber noch die Frau des Chiefs Gemüse, Fleisch und Fisch. Das meiste ist eingelegt oder geräuchert. Man merkt, dass die nächste Straße über vier Stunden zerstörerischen Fußmarsch entfernt liegt. Die Lebensmittel werden in der erreichbaren Umgebung angebaut. Führt der, einige Stunden entfernte Fluss genügend Wasser, so wird auch Fisch gefangen und konserviert. Auch das Wasser muss zu dieser Jahreszeit den weiten Weg vom Fluss ins Dorf transportiert werden. Da der direkte Verzehr des Wassers in unseren Mimosen-Mägen sicherlich den Ausnahmezustand usgelöst hätte, ttrinken wir nur Tee.

Das Frauen im allgemeinen nicht viel zu sagen haben, lernen wir in den nächtlichen Diskussionen. Insbesondere die Schwiegertochter hat ein schweres Los gezogen, Sie schläft separiert von der restlichen Familie in einem kleinen Verschlag nahe der Feuerstelle und tritt nur zum Essen kochen in der Erscheinung. Ihr Mann ist der Anfang zwanzig jährige Sohn des Chiefs, den wir kennenlernen, als er im Laufe des Abends nach Haus kommt und eine hitzige Diskussion zwischen Mutter Chief und ihm entfacht.

Was war passiert? Nun, der junge Ehemann hatte sich der Familienersparnisse bemächtigt, umgerechnet wohl etwa 500€ entwendet, damit ein Motorrad erstanden, und – möglicherweise aufgrund fehlender Fahrpraxis? – direkt zerlegt. Irgendwie schien ein Teil des Geldes auch an ein Mädchen geflossen zu sein. Welcher Art dieses Arrangement war lässt sich für uns nicht so ganz erschließen. Zumindest wird der junge Mann gemieden, und Chief hält bis tief in die Nacht an seine Frau gerichtete Monologe, die wohl auch mit der prekären Angelegenheit zu tun haben.

Der folgende Tag beginnt früh. Wir frühstücken das gleiche wie am Vorabend, packen unsere Sachen, die vom ewig brennenden, offenen Feuer in der Hütte von einem penetranten Rauchgeruch durhtränkt sind, und machen uns, mit Knüppeln vor den Hunden bewaffnet, auf den Rückweg. An Hannas Füßen klaffen die großen Wunden der riesigen Blasen, es heißt also Zähne zusammenbeißen und weiter. Es geht den dreistündigen Aufstieg, der uns am Vortag noch die letzten Kraft- und Nervenreserven gekostet hatte, wieder hinab und dann auf einem anderen Teil des Ho Chi Minh Pfades weiter. War der erste Tag von nicht enden wollenden steilen Auf- und Abstiegen geprägt, so verläuft der heutige Pfad auf weiten Strecken mehr oder minder horizontal durch den Jungle.

Die Tortur des Vortages steckt uns allen in den Beinen. Auch und insbesondere unserem Guide. Immer wieder müssen wir kurz stoppen, nach einer Weile tragen wir seinen Rucksack und irgendwann wird deutlich, dass er den geplanten Rückweg nicht durchhalten wird. Wir ziehen die Essenspause vor und unser Guide bestellt ein Auto, dass uns an der nächstgelegenen Straße abholen soll. Bis dahin sind es noch einige Stunden durch die Wunderschönen Berge Nordlaos.

Als Kompensation unserer verkürzten Wanderung handeln wir eine kostenlose Motorradmiete heraus und fahren am folgenden Tag durch die umliegenden Dörfer. Wir streifen durch die großen Teeplantagen, in denen sich hier einige der ältesten Teebäume der Welt befinden sollen.

Am frühen Abend begeben wir uns nochmals auf die Suche nach der nicht existenten Altstadt Phongsalis und essen zum wiederholten Mal köstlich in einem sehr lokal geprägten laotisch-chinesischen Restaurant. Wie in dem gesamten Städtchen st man hier äußerst wenig serviceorientiert und immer latent lethargisch. 

Am nächsten morgen steigen wir in den Bus, der uns durchs Gebirge über die vietnamesische Grenze Bringen soll.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.