Klaustophobische Gefühle in den Tunnelsystemen von Vinh Moc

In kilometerlangen Tunnelsystemen überlebten die Bewohner ganzer Ortschaften den Vietnamkrieg. Eines findet sich in der “Demilitarized Zone”. Diese sogenannte demilitarisierte Zone war zu Beginn der Teilung Vietnams eingerichtet worden, als diese noch als kurzfristiger Übergangszustand angesehen wurde. Ironischerweise war dieses Gebiet das am stärksten umkämpfte während des Vietnamkriegs. In Vinh Moc ist ein ganzes Dorf während der Bombenangriffe wortwörtlich unter die Erde gezogen, und dieses Tunnelsystem soll deutlich weniger frequentiert und auch unkomfortabler sein als die, den Touristen in Höhe und Breite angepassten Cu Chi Tunnel nahe Saigon.

Wir fahren in einem lokalen Bus nach Dong Ha, einer Stadt etwa 40km entfernt von den Tunneln. Auf der Busfahrt machen wir erstmalig Bekanntschaft mit der stereotypisch vietnamesischen Hinterlist, von der wir vor der Reise viel gehört haben, und dem offenbar latenten Drang zum Beschummeln der Touristen. Wir hatten vor Abfahrt den Preis der Busfahrt gecheckt. Das der Busfahrer vor Abfahrt nur bei den Locals abkassierte beunruhigte uns also noch nicht besonders. Nachdem wir allerdings eine Weile gefahren sind, hält der Fahrer im Nirgendwo und verlangt den knapp dreifachen Fahrpreis von uns. Nachdem wir versucht haben ihm begreiflich zu machen, dass wir über den korrekten Fahrpreis Bescheid wissen und deshalb kein Verhandlungsspielraum besteht, geht er wieder nach vorn und fährt weiter. Noch weiter im Nirgendwo hält er erneut und will nun immerhin nur noch den doppelten Preis haben. Nun müssen alle Fahrgäste tatsächlich so lange warten, bis wir uns auf einen Preis geeinigt haben. Dieser übersteigt den regulären Fahrpreis aber nur noch um etwa 1/5.

Als späte Rache für die zähe Verhandlung und die mickrige Abzocke, setzt uns der Busfahrer dann an einer Tankstelle, 2km vor Dong Ha ab. Wir haben das iPad zu spät zur Hand und orten uns erst als der Bus schon wieder an uns vorbei, weiter Richtung Stadt gefahren ist. Zu allem Überfluss ist unser Hotel in der, im Übrigen fast immer dilettantisch gezeichneten Lonely Planet Karte falsch verzeichnet. Wir laufen also über eineinhalb Stunden schwerbeladen durch die Stadt, bis wir endlich ein Taxi nehmen und feststellen müssen, dass es ganz woanders ist.

Scheiß Tag!!!

Das Hotel/Hostel ist sehr nett. Wir leisten uns ein Zimmer mit großem Balkon mit Blick über die Reisfelder. Da das Wifi nicht bis ins OG funkt, finden wir uns mit den anderen Hotelgästen in der mückigen Lobby wieder und kommen mit Vietnamesen ins Gespräch, die alle direkt oder indirekte Opfer des Vietnamkriegs sind. Einer erzählt uns von seiner Familie, die in den Tunneln von Vinh Moc gelebt hat. Eines Tages wurde sein Onkel bei einem Angriff der Amerikaner in einem Tunnel verschüttet. Aus eigener Kraft konnte er sich nicht befreien und um den Standort des Tunnels und Zuhause hunderter Menschen nicht zu verraten, kann ihm auch niemand zur Hilfe kommen, sodass er an diesem Tag vor den Augen seiner Schwester ums Leben kommt.

Ein weiterer Wifi-Nachbar hat seine rechte Hand verloren, als er als Kind beim Spielen eine Miene findet. Er engagiert sich jetzt in einem Verband für andere Opfer des Krieges. Jeder Zehnte Vietnamese ist körperlich oder geistig behindert. Auf unserer weiteren Reise erfahren wir noch viel über die nachwirkende Zerstörungskraft von Agent Orange und seinen dreckigen Kollegen.

Am nächsten Tag mieten wir uns ein Motorrad und fahren in die Demilitarized Zone (DMZ) von Vinh Moc. Diese befindet sich am ehemaligen Grenzfluss Ben Hai, den wir von der süd- in die nordvietnamesische Landeshälfte überqueren, und war eine der am stärksten bombadierten Orte Vietnams. Die Pro-Kopf-Bombenabwurfmenge betrug hier über 7000 Kilo. Die Tunnel führen auf einer bombengeschützten Tiefe von bis zu 15 Metern durch den Erdboden und beinhalten auf einer Länge von über 2km neben Krankenstationen, Gebärstationen, Wohnbereichen und Kommandoräumen für die Viet Cong auch ein Theater und Schulen. Mit Pfeilen wird man durch das Tunnelgewirr geleitet. Man kann aber auch abseits der Route in engere Tunnel abbiegen, die sich immer weiter verzweigen. Zum Teil ist ein Weiterkommen nur auf allen Vieren möglich. Nach der Dritten Abzweigung abseits der Route und der Erkundung einiger Kammern, beschleichen auch mich klaustrophobische Gefühle. Kaum vorstellbar, wie es die Menschen hier über Monate hinweg ausgehalten haben.

Um diese Erfahrung reicher fahren wir zu einem Militärfriedhof, an dem sich tausende, gleichförmiger Grabsteine aneinanderreihen und auch visuell einen Eindruck der großen Zahl im Krieg getöteter Vietnamesen vermitteln. Auf jedem Grabstein steht auf vietnamesisch “Liet Si” – “Märtyrer” geschrieben.

 

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